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vor fünf Jahren: Kauf der Liegenschaft “Alte Sennerei” durch den Verein Tenna Hospiz

vor vier Jahren: Präsentation des Modells für den Neubau

vor drei Jahren: Spatenstich

vor zwei Jahren: Aufrichte “Alte Sennerei”

vor einem Jahr: Betriebsbeginn der Wohngemeinschaft Alte Sennerei

“Es gibt nichts Ergreifenderes, als sagen zu können, ich darf einen Traum leben” sagt Othmar F. Arnold, 61, Koordinator der Pflege-WG in der Alten Sennerei in Tenna/GR. Vor acht Jahren formulierte er die Vision für Menschen im letzten Lebensabschnitt einen hindernisfreien Ort im abgelegenen Safiental zu haben, in dem sie in vertrauter Umgebung leben können, wenn es zuhause nicht mehr geht. “Aus einem Zusammenspiel von gegenseitiger Unterstützung, Angehörigen und ambulanten Diensten ergibt sich die Unterstützung, die nötig ist, um würdig mit den Veränderungen des Alters und dem Sterben leben zu können.”

Das WG Leben hat sich über das erste Jahr entfaltet und erfüllt alle Erwartungen des Initianten. „Wir nehmen jeden Mensch als einzigartig wahr“, das zeigt sich auch an den Routinen, die sich rasch entwickeln. Am Morgen zeigen sich die unterschiedlichen Vorlieben am besten. Die einen stehen mit dem ersten Tageslicht auf, andere schlafen gerne aus. Ein organisiertes Frühstücksbuffet gibt es nicht – die WG trifft sich mittags pünktlich zum gemeinsamen Mittagessen. Gäste kommen, werden willkommen geheissen und bedient. Danach wird geschwatzt, zusammen Geschirr gespült oder Zeitung gelesen. Angehörige, Nachbarn und Freunde gesellen sich oft spontan zu diesem Höhepunkt im Tageskreis.

Wir haben als WG auch einen Kartoffelacker bepflanzt, Zwetschgen entsteint, unzählige Spaziergänge und Ausflüge gemacht oder einfach die Wolken und den Nebel aus den warmen Zimmern mit Panoramablick beobachtet. Wenn das Klavier in der kleinen Stube erklingt, sind Melodien wie “Grüezi wohl Frau Stirnimaa” echte Aufheller. Es gibt regelmässig Fusspflege und Jassgruppen, Pfarrgespräche und Café Betrieb.

Gegen Abend treffen sich die Mitbewohnenden wiederum in der grossen Stube zum Essen. Etwas Kleines bloss, denn der Appetit ist nicht mehr riesig. “Süsses zählt nicht mit beim Appetit”, meint Ursula Buchli, 80, – “dafür hat es immer Platz”. Oder ein Glas Wein gefällig? Danach geht es gelegentlich noch zur nahegelegenen Kirche von Tenna wo gemeinsam mit Nachbarn drei- oder vierstimmig gesungen wird. “Wer nur den lieben Gott lässt walten” und “Ich luege n uf i d’Bärge” werden mit Hingabe intoniert; Zuhörer gibt es keine.

Diese Tradition des Singens hat sich als sehr hilfreich erwiesen als im Juli zum ersten Mal eine Mitbewohnerin gestorben ist und dann ein Platz am Tisch plötzlich leer bleibt. Auch wenn dies im Hospiz zu erwarten ist, waren alle erschüttert; die im Singen erlebte Nähe hat gegenseitig gestützt und ist heilend. Wir durften gemeinsam lernen, wie ein Todesfall die WG bewegt und berührt – anstelle von Pflegeeinsätzen und Alltagsunterstützung war plötzlich Trauerarbeit wichtig. Der Wittwer Gian Pedretti, 96, fühlt sich aufgehoben, mit Tränen in den Augen.

Wir haben auch erlebt wie es sich anfühlt, wenn eine Mitbewohnerin aus ihrem selbstgewählten Rückzug aus den Öffentlichkeit wieder ins Rampenlicht gerückt wird – so dass selbst das tschechische Radio vom Leben im Tenna Hospiz berichtet. Ein Strohfeuer im Vergleich zu den Alltäglichkeiten, die dem Leben im Kleinen Bedeutung schenken.

“Do bin ich jetzt dehäi” sagt Abraham Buchli, 81, so überzeugt wie vor einem Jahr. “Ich werde noch einmal umziehen” ergänzt er und zeigt mit grosser Gewissheit und Würde himmelwärts.

Die grosse Herausforderung dieses Modells des menschlichen Umgangs im letzten Lebensabschnitt ist das Gleichgewicht zwischen Mitbewohnenden, die aktiv mitleben und Unterstützung in der Alltagsbewältigung erbringen, und Mitbewohnenden, die in verschiedensten Bereichen auf ein gewisses Mass an Unterstützung, Betreuung und Pflege angewiesen sind. Deshalb ist die Auslastung der Kapazitäten im Tenna Hospiz im ersten Betriebsjahr bei etwa 50% anstelle der geplanten 69%. Und doch ist der Betrieb selbsttragend und erschwinglich für alle, ein Teil der ursprünglichen Vision. 

Die Mittelbeschaffung für den Neubau hat nun stolze 97% der Investitionskosten geschafft. Trotz einer Kostenüberschreitung von 3% (vor allem durch Verbesserungen im Brand- und Schallschutz) hat der Verein in sehr aussergewöhnlichen Zeiten (2 Jahre Pandemie und ein Kriegsausbruch) erfolgreich private Spender:Innen und Stiftungen motivieren können, den Traum vom pflegegerechten Wohnraum für den letzten Lebensabschnitt zu ermöglichen. Nun fehlen noch CHF 150’000. Wenn dieser Betrag durch Spenden finanziert werden kann, reduzieren sich die Mietkosten um bis zu CHF 240 pro Monat und pro Wohneinheit. Ein einmaliges Geschenk für viele, die ihren letzten Lebensabschnitt in der Pflege-WG im Safiental verbringen möchten!

NB: Es hat sich gezeigt, dass das Arbeiten mit regionalen Firmen und Materialen ein riesiger Vorteil hat: Die Abhängigkeit vom Weltmarkt ist wesentlich geringer. Der Verein Tenna Hospiz darf stolz berichten, dass 76% der Gesamtinvestitionssumme (CHF 3,9 Mio), für den Neubau der “Alten Sennerei” Wertschöpfung in der Region geschaffen hat. Das Holz, die Steine, sogar der Zement kommen aus einem Umkreis von 38 km; ebenso sind die meisten Firmen in der Region ansässig, vom Tiefbau bis zum Solardach, von der Gebäudetechnik bis zum Möbelschreiner.