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Zum GedenkSonntag in der “Alten Sennerei” sind Angehörige, Nachbarn und Interessierte ins Tenna Hospiz gereist. Gemeinsam wollten wir denen gedenken, welche die Reise in eine andere Welt bereits angetreten haben.

Ganz unerwartet ist Franz Hohler nach Tenna gekommen und hat nach einem feinen Mittagessen, Kaffee und Kuchen aus seinen Erinnerungen an Erica Pedretti gelesen und erzählt. Danach hat er dann – ganz im Sinne der örtlichen Verwurzelung des Projektes Tenna Hospiz – seine Geschichte von Melchior Zinsli vorgetragen. Das Bruschghorn und der Piz Beverin stand frisch verschneit im Hintergrund und schmunzelten mit in der zaghaften Wintersonne des Safientals.

Das gemütliche Zusammensein in der grossen Stube der “Alten Sennerei” war weiter umrahmt von den sanften Klängen der Laute, welche Robert Grossmann seinem Instrument entlockte. Er spielte alte Melodien aus der halben Welt, aber auch aus einer Engadiner Handschrift, welche so klanglich wiederbelebt wird.

Robert Grossmann, Gian Pedretti und Franz Hohler (photo credit: Elisabeth Bardill)

Als Beitrag der Einheimischen hat ein ad-hoc Chörli aus dem Umkreis des Tenna Hospiz noch einige Kanons und vierstimmige Lieder vorgetragen.

Der GedenkSonntag soll ein wiederkehrender Bestandteil des Jahreskreises im Tenna Hospiz werden. Am 5.November 2023 ist es dann wieder soweit.

Wer sich nicht mehr an Melchior Zinsli erinnern mag, kann hier die Geschichte von Franz Hohler nachlesen und mitschmunzeln.

Als es an einem schönen Sommerabend bei Melchior Zinsli, einem Bergbauern im Safiental, nach dem Eindunkeln noch an die Türe pochte, war er überrascht. Sein Heimwesen war sehr abgelegen und es war selten, dass um diese Zeit jemand anklopfte. Seine Überraschung legte sich aber wieder, als er sah, wer vor der Türe stand: Es war der Papst.

«Willkommen», sage Zinsli, «tretet ein. Ihr kommt gerade zur rechten Zeit.»

«Ja», sagte der Papst in gutem Hochdeutsch, «als ich gestern den Wetterbericht hörte, dachte ich, jetzt oder nie.»

«Seid ihr allein?» fragte Zinsli und warf noch einen Blick vors Haus, bevor er die Tür hinter seinem Gast zuzog.

«Ja», sagte der Papst, «es war nicht ganz einfach, aber ich habe einen Freund in der Schweizergarde, der hat mir geholfen.»

Er zog sein weisses Käppchen ab und legte es erleichtert auf den Stubentisch.

Melchior Zinsli hatte keine weiteren Fragen, sondern hiess den Papst sich setzen und stellte ihm sogleich einen starken Milchkaffee mit Brot und Alpkäse auf. Der Papst sprach allem kräftig zu und wollte dann bald zu Bett gehen. Er freute sich, als ihm Melchior Zinsli die Knechtekammer zeigte mit dem schweren Bett und der grossen, gewürfelten Bettdecke. Da der Papst ohne Gepäck gekommen war, bot ihm Zinsli auch ein altes, aber sauberes Nachthemd von sich an und für den morgigen Tag ein Paar Drilchhosen und ein Militärhemd.

«Wann stehen wir auf?» fragte der Papst noch, bevor er zu Bett ging.

«Ich muss um fünf Uhr zu den Kühen, aber für Euch langt es, wenn ich Euch um halb sieben Uhr wecke.»

«Herrlich», sagte der Papst und strich mit der rechten Hand über die Bettdecke, «eine Stunde später als im Vatikan.»

Am andern Morgen war er richtig ausgeschlafen, als Melchior Zinsli die Tür einen Spalt öffnete und der Kaffeeduft in sein Zimmer strömte. Die ersten Sonnenstrahlen fielen gerade durchs Fenster, und es versprach ein wunderbarer Tag zu werden.

Melchior Zinsli hatte im Sinn zu heuen, deshalb hatte er dem Papst auch einen Brief geschrieben. Er hatte im «Der Landwirt», einer Zeitschrift für die Bauern, gelesen, dass er, der Papst, sich in einer Ansprache an eine Bauerndelegation der Europäischen Gemeinschaft als Knecht der Menschheit bezeichnet hatte, und da hatte er sich hingesetzt und ihm geschrieben, dass er seine Bergbauernwirtschaft alleine betreibe und dringend einen Knecht brauchen könne, vor allem zur Zeit des Heuets, und ob er ihm nicht zwei, drei Tage helfen kommen könne. Dazu hatte er ihm auf einem Plänchen eingezeichnet, wie man sein Haus fand.

Und so schritt nun der Papst den ganzen Tag hinter Melchior Zinsli und seinem «Rapid» her und verzettelte das Gras, und am nächsten Tag machten sie mit den Rechen prächtige Schöchlein, und am dritten Tag luden sie die Schöchlein auf den Brückenwagen und gabelten alles ins Ansauggebläse der Scheune, und dazwischen assen sie Roggenbrot und Bündnerfleisch und tranken Birnenmost und sprachen über Gott und die Welt, Zinsli mehr über Gott und der Papst mehr über die Welt, und als die drei Tage um waren, wunderten sich die Bauern an den Nachbarhängen, woher sich der Melchior, der nicht als der Schnellste galt, plötzlich einen Knecht geholt hatte, und einen tüchtigen dazu.

Der Papst aber hatte Bäcklein wie Berner Rosen, er hatte in dieser Zeit keine einzige Messe gelesen, geschweige denn sein Brevier, aber er habe, sagte er Melchior Zinsli zum Abschied, schon lange nicht mehr das Gefühl gehabt, etwas so Vernünftiges zu tun wie in den drei Tagen, und er solle ihm schreiben, wenn er wieder Hilfe brauche, nächstes Jahr würde er gerne selbst mit dem «Rapid» die Hänge abmähen, er knattere so schön.

Dann stieg er in den Helikopter der Rettungsflugwacht, mit dem ihn der Schweizergardist wieder abholte und während er winkend himmelwärts entschwebte und bald als winziger Punkt zwischen dem Piz Beverin und dem Bruschghorn verschwand, ging Melchior Zinsli nachdenklich in sein Bauernhaus und schrieb noch am selben Abend einen Brief an eine Heiratsvermittlung. Denn obwohl er nicht daran gezweifelt hatte, dass der Heilige Vater seine Einladung annehmen würde, war ihm doch klar, dass auf diese Art von Hilfe auf die Dauer kein Verlass war, und ein zweites Mal würde er den Papst ohnehin nicht mehr einladen, denn an den «Rapid» gehört nun einmal der Meister, und nicht der Knecht.