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von Jano Felice Pajarola

Im Alter betreut leben, auf Wunsch bis zum letzten Atemzug: Diese Möglichkeit bietet seit einigen Jahren die ungewöhnliche kleine Wohngemeinschaft Alte Sennerei im Safientaler Dorf Tenna. Auf eine radikal neu gedachte Art und Weise: Gemeinsam mit unterstützungsbedürftigen Menschen im letzten Daseinsabschnitt leben im Neubau sogenannte sorgende Mitbewohnende, die sich um die Seniorinnen und Senioren kümmern. Auch pflegende Angehörige und Freiwillige können sich an der Bewältigung des Alltags in der Wohngemeinschaft beteiligen. Und die Betagten selbst können je nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten ebenfalls Aufgaben übernehmen. Wer von ihnen aktiv am Gemeinschaftsleben teilnimmt, wird als Anreiz sogar mit einer Mietzinsreduktion belohnt.

Ein Ort «zwischen Heim und Daheim»

Es ist ein «konsequentes Nicht-Trennen» von Wohnen, Begleiten, Betreuen und Pflegen, «mit Herz, Hand und Verstand». So schildert es eine eben fertiggestellte externe Studie, die der gemeinnützige Trägerverein Tenna Hospiz mit Unterstützung der renommierten Schweizer Age-Stiftung erarbeiten liess. Ein «Ort zwischen Heim und Daheim», betrieben in Kooperation mit ambulanten Diensten wie der Spitex. Das ursprüngliche Pflegemodell: Die Spitex kommt täglich morgens und abends für die grundpflegerischen Leistungen nach Tenna, die stationären Leistungen decken die sorgenden Mitbewohnenden ab. Sprich: in erster Linie Othmar F. Arnold, Initiant, Betriebsleiter und von Anfang an der hauptsächliche sorgende Mitbewohner in der Alten Sennerei.

Die Realität gab ein anderes Modell vor. Die pflegerischen Leistungen wurden bis Mitte 2024 allein von den sorgenden Mitbewohnenden übernommen. Unter anderem, weil die Wege für die in Ilanz stationierte Spitex Foppa lang und damit unrentabel gewesen wären – für Einsätze, die zudem auch im Haus selbst kompetent erbracht werden können. Denn Betriebsleiter Arnold verfügt über eine Spitex-Ausbildung und ist seit 2013 bei der Spitex Foppa angestellt. In den ersten drei Betriebsjahren der Wohngemeinschaft wurden die Leistungen deshalb von der sorgenden Gemeinschaft erbracht und direkt den Familien verrechnet. Ohne die Krankenkassen überhaupt zu involvieren – und zu einem erschwinglichen Tarif, wie es auch in der Studie heisst.

Plötzlich kam Widerstand aus Landquart

Dann kam ein Systemwechsel. Auf Wunsch von Angehörigen sollten die vom Arzt verordneten und intern in Tenna abgedeckten pflegerischen Leistungen über die Kassen abgerechnet werden. Die neue Lösung per Juni 2024: Die Mitarbeitenden der Wohngemeinschaft leisteten ihre Einsätze nun im Auftrag der Spitex; diese verrechnete die Arbeit wiederum den Bewohnenden respektive deren Krankenkassen weiter. Alles geregelt mit Verträgen und Kontrollen seitens der Spitex. «Das hat anfänglich gut funktioniert», erklärt Arnold. «Auch mit einem Patienten, der bei der ÖKK versichert war.» Doch dann, nach dem Neueintritt einer ÖKK-Versicherten mit hohem Pflegebedarf nach einer Operation, habe die Kasse aus Landquart Widerstand spüren lassen. «Plötzlich kam ein Anruf von der ÖKK», erinnert sich Arnold. Der Tenor: Das Modell, das da in Tenna praktiziert werde, «das darf nicht sein, das ist so nicht vorgesehen». Die Konsequenz: Die Kasse weigerte sich, die in Tenna erbrachten Leistungen vollumfänglich zu übernehmen, und nahm Kürzungen vor. Das wiederum nötigte den Verein Tenna Hospiz dazu, zum alten System zurückzukehren, ohne Finanzierung durch die Krankenkassen. Seither kommen die Familien wieder selbst für alle Kosten, unterstützt von einem Solidaritätsfonds des Vereins.

ÖKK konstatiert: «Kantonale Zulassung fehlt»

Weshalb sperrte sich die ÖKK plötzlich gegen das alternative Modell der Wohngemeinschaft Alte Sennerei? Zumal man beim Verein Tenna Hospiz überzeugt ist, dass es klar kostengünstiger ist als andere Formen der Betagtenpflege. Und damit hilft, Gesundheitskosten zu senken, was auch in der externen Studie bestätigt wird. In ihrer Antwort betont die ÖKK-Medienstelle vor allem die gesetzlichen Vorgaben und Weisungen: Das Hospiz in Tenna sei heute kein anerkannter Erbringer von Leistungen zulasten der Grundversicherung. «Es verfügt über keine kantonale Zulassung als Spitex-Organisation oder Pflegeheim», so Kommunikationsleiter Patrick Eisenhut.

Was unbestritten sei: dass die von Betriebsleiter Arnold selbst über die Spitex Foppa erbrachten Leistungen kassenpflichtig seien. Das habe die ÖKK auch nicht infrage gestellt, betont Eisenhut. Das Problem: Das Arbeitsrecht verbietet es Arnold, sieben Tage die Woche rund um die Uhr zu arbeiten; er kann gar nicht alle pflegerischen Leistungen im Hospiz selber erbringen und braucht also Personen, an die er seine Aufgaben delegieren kann. Und deren Pflegeleistungen sind es, die laut Eisenhut nicht über die obligatorische Krankenversicherung abgerechnet werden können. Da brauche es eine kantonale Zulassung oder ebenfalls eine nachweisbare Anstellung bei der Spitex Foppa, was aber beides nicht vorhanden sei – deshalb die Leistungskürzungen.

Spitex oder Heim werden ist keine Option

Arnold weiss: «Das ist alles absolut  korrekt – wenn man die geltenden Regelungen anschaut.» Aber in der Alten Sennerei lebe man ein neues Modell, «und auf dieses Modell sind sie nicht vorbereitet. Wir sind keine Institution, und wir sind auch keine pflegenden Angehörigen. Doch dazwischen gibt es in den Regelungen nichts.» Also beim Gesundheitsamt offiziell darum ersuchen, zur Spitex oder zum Pflegeheim werden zu können, wie es die ÖKK dem Hospiz rät?

Keine Option, findet Arnold: «Wenn wir das werden wollen, dann braucht es das Modell Tenna Hospiz nicht mehr.» Denn dann wird man auch Teil des eingefahrenen Systems – gegen das die Alte Sennerei «ein Widerstandsprojekt vom Besten» sei, wie Arnold es formuliert. «Wir lassen das jetzt sacken», meint er zur negativen Erfahrung mit dem Krankenversicherer. «Und dann nehmen wir einen neuen Anlauf.»

 

Veröffentlicht in der Südostschweiz/Bündner Zeitung am 2. September 2025 und online https://www.suedostschweiz.ch/graubuenden/krankenkasse-und-heimalternative-im-clinch-wie-man-mit-einem-innovativen-modell-fuer-die-betagtenpflege-zwischen-stuhl-und-bank-geraten-kann