
Die World Health Organization (WHO – Weltgesundheitsorganisation) prägte 2015 im «World Report on Ageing and Health» ein breites Verständnis von Alter und Gesundheit: der Fokus liegt auf den Individuen in ihren Kontexten und nicht auf der An- oder Abwesenheit von Symptomen und medizinischen Interventionen; Gesund altern (healthy ageing) heisst in einem solchen funktionalen Verständnis, die eigene Lebensqualität zu stabilisieren und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. (SAGW Juli 2019)
Die vier Grundsatzthemen unter dem Oberbegriff „Gesund altern“ benennt der WHO Bericht wie folgt: (1) Umgang mit Vielfalt, (2) Ungleichheiten reduzieren, (3) Auswahl ermöglichen, und (4) vor Ort älter werden.
Das Projekt „Alte Sennerei“ verwirklicht in seinem Konzept diese vier globalen Forderungen von Grund auf. Und zwar aus innerer Überzeugung, und nicht auf Grund von politischen Vorgaben, verschärfter Reglementierung oder geänderten Finanzierungsanreizen. Menschen, die hochaltrig oder gebrechlich werden, wollen als lebendige Individuen, und nicht als krankhafte, multimorbide Körper verstanden werden.
(1) Umgang mit Vielfalt: Menschen, die ihr Leben lang im abgelegenen Berggebiet wirkten, haben andere Bedürfnisse als urbane Zeitgenossinnen. Das Projekt „Alte Sennerei“ spricht in erster Linie im Berggebiet verwurzelte Menschen an, ist aber offen für solche, die die Ruhe und Besinnlichkeit am oberen Rande der Schweiz suchen und schätzen. Die Betreuung und Begleitung wird Personen-zentriert und integriert sein. Die Mitbewohnerinnen beteiligen sich am Alltag der Pflegewohngemeinschaft nach ihren Fähigkeiten und Vorlieben.
(2) Ungleichheiten reduzieren: Das Projekt „Alte Sennerei“ steht allen offen. Es sieht einen Solidaritätsfonds vor, der die wirtschaftlichen Ungleichheiten (Menschen, die ein Leben lang in der Berglandwirtschaft tätig waren haben keine Ansprüche auf Pensionskassengelder. Die meisten haben auch keine 3. Säule ansparen können). Innerhalb des Betriebskonzeptes werden auch Ungleichheiten zwischen Pflegebedürftigen, pflegenden Angehörigen und Fachkräften reduziert. Dadurch wird die Selbstbestimmung, Partizipation und Verantwortung gefördert.
(3) Auswahl ermöglichen: Das Projekt „Alte Sennerei“ ermöglicht es Betroffenen und ihren Angehörigen zu wählen, wieviel Unterstützung und Entlastung sie benötigen. Es gibt keine Fallpauschalen und Behandlungsroutinen. Es gibt auch keine Verpflichtung oder Erwartung, Krankheiten und Gebrechen standardisiert zu untersuchen, zu diagnostizieren und zu behandeln. Es zählt der individuelle Wunsch nach Lebensqualität, einer Form von Gesundheit, die ganz im Sinne des WHO Berichtes umfassender ist als eine medizinische Sicht.
(4) vor Ort älter werden: Wenn die individuellen Kräfte und Fähigkeiten abnehmen, ist oft ein Ort- und Systemwechsel notwendig. Pflege- und Betreuungsplätze sind recht zentral und zunehmend nach Effizienzkriterien angelegt. Das Projekt „Alte Sennerei“ ist im Randgebiet verankert und auf kulturellen Werten der lokalen Bevölkerung aufgebaut. Pflegende Angehörige werden miteinbezogen und entlastet, so dass eine Verpflanzung von alten Bäumen weniger oft notwendig sein wird. Dadurch, dass das Projekt in die Dorf- und Talgemeinschaft eingebettet ist, können Betroffene sich Unterstützung und Beratung holen, bevor ein Notfall eine Verlegung in eine Institution unumgänglich machen.
Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) beschreibt neben dem «World Report on Ageing and Health» weiter in ihrem monatlichen Newsletter Juli 2019 zukunftsweisende Forschungsfelder zum Thema Altern und Lebensqualität:
Eine im Juni publizierte Studie Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zeigt auf Basis von Daten der europäischen Langzeitbefragung SHARE, dass gesundheitliche Probleme im Alter nicht zwangsläufig zu einer geringen Lebensqualität führen, dass puncto Gesundheitsverhalten und Lebensqualität aber signifikante Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Gruppen bestehen. Ein weiterer wachsender Forschungszweig befasst sich mit sogenannt «altersfreundlichen Umgebungen»; solche zu schaffen gehöre seit einigen Jahren gerade im deutschen Sprachraum zu den zentralen Themen der Alternspolitik, schreiben Ulrich Otto und Anna Hegedüs von der Careum Stiftung im Ende 2018 erschienenen SAGW-Bulletin «Ageing Society».